Moin

Warum ich seit der Bundestagswahl nicht mehr ganz so gerne in Nordenham lebe

Der Wahlsonntag steckt mir noch immer in den Knochen. Zum einen, weil solche Sonntage für Zeitungsredaktionen ein Kraftakt sind. Es ist zäh und nervenaufreibend, wenn man im Wettlauf gegen die Uhr auf die Auszählung der letzten Wahllokale warten muss und absolut nichts daran ändern kann, dass es dauert und dauert und dauert.

Zum anderen steckt mir der Sonntag in den Knochen, weil mich das Ergebnis schockiert hat. Dass die AfD stark werden würde, war klar. Etwas anderes zu erwarten, wäre naiv gewesen. Dass die in Teilen rechtsextreme Partei in meiner Heimatstadt aber so stark werden würde - ich gebe zu, ich hatte es mir nicht ausmalen können. Und auch nicht ausmalen wollen.

In drei Wahllokalen - nämlich Schule Süd 103, St.-Willehad-Schule 112 und Schule FAH 118 - lag die AfD ganz vorn. In Schweewarden teilt sie sich den Spitzenreiterplatz mit der CDU. Andere Ortsteile blieben das, was sie schon immer waren: SPD-Hochburgen. Doch auch hier, zum Beispiel in Einswarden, folgen unmittelbar nach der SPD die Blauen. In der Gesamtrechnung sind 21,3 Prozent der Zweitstimmen aller 19.573 wahlberechtigten Nordenhamerinnen und Nordenhamer an die AfD gegangen.

Jetzt ertappe ich mich dabei, und das erschreckt mich selbst, dass ich Leute abzähle, wenn ich durch Nordenham gehe oder radele: eins, zwei, drei, vier, AfD-Wähler. Eins, zwei, drei, vier... An manchen Stellen im Stadtgebiet, siehe oben, muss ich nur bis drei zählen.

Der Wahlausgang zeigt mir: Ängste sind schnell geschürt, Buhmänner schnell identifiziert. Mehr als ein Fünftel aller wahlberechtigten Nordenhamer möchte, dass in Fragen der Migration härter durchgegriffen wird, dass Windkrafträder abgerissen werden und der Strom wieder aus Atomkraftwerken kommt, dass die D-Mark wieder eingeführt wird und sich Deutschland aus der EU verabschiedet.

Die demokratischen Spielregeln besagen: Damit muss ich leben. Dass ich es gut finden muss, besagen sie nicht.

Detlef Glückselig

Redaktionsleiter

Er ist mit Leib und Seele Lokaljournalist. Seit 1984 berichtet er aus der Wesermarsch. Es sind die Menschen und ihre Geschichten, die ihn interessieren. Detlef Glückselig ist der Redaktionsleiter der Kreiszeitung.

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