Wie viel Fortschritt ist dem Menschen eigentlich zumutbar? Wie viel Gerechtigkeit ertragen wir?
Diese Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, als ich mich neulich bei einer unangenehmen Situation ertappte. Ich befand mich in einer Buchhandlung und fand ein Buch, dessen Thema mich interessierte, sah aber von einem Kauf ab.
Warum? Es war so voll von Gender-Doppelpunkten, dass ich den Lesefluss als störend empfand. Ich wollte, wenn ich ein Buch lese, zügig vorankommen. Und nicht alle paar Wörter über die Geschlechterfrage bei allen möglichen Bezeichnungen stolpern. Ich wollte nicht ständig an das Geschlecht bei „Jägern“ und „Jäger:innen“, „Tapezierern“ und „Tapezierer:innen“ oder „Gefängniswärtern“ oder „Gefängniswärter:innen“ denken.
Gut, aber verdienen Frauen nicht unseren Respekt? Fängt Gerechtigkeit nicht mit der Sprache an? Und überhaupt: Nur weil etwas nicht zu meinen Gewohnheiten passt, muss es doch nicht falsch sein. Wie viele unserer Gewohnheiten sind nicht veraltet, ungesund oder unpassend! Und wurden nicht alle Errungenschaften gegen die Widerstände des Gewohnten erkämpft?
Wie gesagt, ich verstehe das Anliegen hinter dem Gendern. Aber es kann trotzdem manchmal anstrengend sein. Manchmal möchte man aus dem Fortschritts-Zug aussteigen und sagen: „Fahr du mal weiter. Ich möchte hier verweilen, die Natur genießen. Ich komme später nach.“

Gendern spaltet immer noch die Deutschen. Foto: Sebastian Gollnow