Seit einigen Wochen kann ich nicht mehr zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit gelangen, ich muss eine knappe Stunde lang Auto fahren. Das gefällt mir nicht, weil so viel Lebenszeit vergeudet wird. Um diese Vergeudung in Grenzen zu halten, habe ich beschlossen, auf der Fahrt Hörbüchern zu lauschen. Warum nicht ein bisschen literarische Bildung mitnehmen, während ich einen endlos langen Lastwagen nach dem anderen überhole.
Allerdings ist das schwieriger, als ich dachte. Nicht das Überholen, das Hörbüchernutzen. Ich habe nämlich noch nicht so ganz raus, wie komplex eine Geschichte sein darf, damit ich ihr beim Autofahren folgen kann. Nicht sehr komplex, das weiß ich schon. Ein häufiger Wechsel der Zeitebenen, zu viele Rück- oder Vorausblenden, mehrere Nebenhandlungen, mehr als ein halbes Dutzend Personen - und schwupps, verliere ich den Anschluss.
Das muss ein Zeichen des Alterns sein. Da wird das Kurzzeitgedächtnis schlechter, glaube ich. Und deshalb kann ich mich, wenn Sandra letztmals auf der Hinfahrt am Montagmorgen in Erscheinung getreten ist, auf der Rückfahrt am Donnerstagabend nicht mehr erinnern, was genau es war, das Leo so gegen sie aufbrachte.
Wenn ich selbst läse, könnte ich nun zurückblättern und mich noch mal mit dem Problem zwischen Sandra und Leo vertraut machen. Aber im Hörbuch gibt es nichts zu blättern, der Erzähler oder die Erzählerin hält es stets mit Erich Honecker: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“. Zumindest während der Fahrt. Ich kann also nur hoffen, dass Sandras und Leos Geschichte sich mir irgendwann wieder erschließt.
Ich habe noch zwei Fahrten, bis das Buch endet. Danach suche ich mir ein neues Werk. Vielleicht ein Monolog? Oder ein Zwei-Personen-Stück? Oder Kurzgeschichten? Sollten Sie einen Tipp haben: Ich freue mich darüber.