Bürgermeister Axel Linneweber war gerade fünf Monate im Amt, da gelang ihm im November 2020 ein großer Coup: Er zauberte einen neuen Arzt für Stollhamm aus dem Hut - und lieferte die Aussicht, dass in Kürze auch in Tossens eine neue Hausarztpraxis eröffnet würde, gleich mit dazu.
Viereinhalb Jahre später kassiert die Gemeinde Butjadingen in unserem großen Heimat-Check in der Kategorie „Gesundheitsversorgung“ die schlechteste aller bei der gesamten Umfrage vergebenen Noten. Ärztemangel ist das Problem, das den Butjenter am allermeisten unter den Nägeln brennt. Und die Gemeinde sieht nach Worten ihres Bürgermeisters keine Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen, jedenfalls nicht aus eigenen Kräften. „Wir stehen der Situation ohnmächtig gegenüber“, räumt Axel Linneweber ein.
Reaktivierte Ruheständler füllen die Lücken auf
Mitte 2020 klaffte schon einmal eine große Lücke in der medizinischen Versorgung Butjadingens, nachdem der Stollhammer Allgemeinmediziner Dr. Markus Kluth seine kassenärztliche Zulassung abgegeben hatte, um fortan nur noch Privatpatienten zu behandeln. Ein Schlag ins Kontor für die Gemeinde. Doch es fand sich eine Lösung.

Gert von Heugel ist als Hausarzt in Stollhamm tätig. 2020 gelang es, ihn aus dem Ruhestand zurückzuholen. Jetzt ist er einer von nur noch zwei in Butjadingen verbliebenen Allgemeinmedizinern. Foto: Reiprich
Im Spätherbst 2021 gelang dieses Kunststück auch in Tossens. Der Allgemeinmediziner Viktor Ortlieb, der sich ebenfalls bereits im Ruhestand befunden hatte, übernahm eine Praxis im ehemaligen Gebäude der Raiffeisenbank - wiederum als Angestellter des MVZ in Nordenham. Zusammen mit Dr. Silke Monatz in Burhave und der Stollhammer Zahnärztin Dagmar Strauß hielten die beiden reaktivierten Ruheständler die medizinische Versorgung in Butjadingen aufrecht.
Situation hat sich in Butjadingen dramatisch verschlechtert
Vier Jahre später hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Ende März schloss Dagmar Strauß ihre Zahnarztpraxis. Bereits seit Anfang 2024 ist auch die Praxis in Tossens verwaist. Viktor Ortlieb hatte sich aus Alters- und Gesundheitsgründen zurückgezogen; inzwischen ist er verstorben. Damit sind Dr. Silke Monatz in Burhave und Gert von Heugel in Stollhamm, inzwischen Mitte 70, die letzten verbliebenen Mediziner in einer Gemeinde mit rund 6000 Einwohnern und unzähligen Urlaubsgästen.
Kann ein solcher Coup wie 2020 erneut gelingen? Dafür sieht Dr. Robert Ceskel schwarz. Er versucht seit anderthalb Jahren, einen Nachfolger für Viktor Ortlieb zu finden - vergeblich. Ruheständler, die Lust haben, in den Beruf zurückzukehren, stehen nicht unendlich zur Verfügung. Und junge Ärzte, diese Erfahrung hat Robert Ceskel machen müssen, wollen nicht aufs Land.

Bürgermeister Axel Linneweber sieht für die Gemeinde keine Handhabe, um Ärzte nach Butjadingen zu locken. Ihm bleibt nur, auf ein kleines Wunder zu hoffen. Foto: Glückselig
Laut Dr. Sainab Egloffstein, Geschäftsführerin der Bezirksstelle Wilhelmshaven der KVN, beträgt der Grad der Versorgung mit Hausärzten im Versorgungsgebiet Nordenham, zu dem auch Butjadingen und Stadland zählen, aktuell 95,9 Prozent. Das würde, obwohl die KVN grundsätzlich einen Versorgungsgrad von 110 Prozent anstrebt, noch nicht die Ausschreibung von Niederlassungsprämien rechtfertigen.
Kassenärztliche Vereinigung rechnet mit Zuspitzung der Situation
Die Kassenärztliche Vereinigung stellt aber auch Prognosen an und zieht dabei den jeweiligen Altersdurchschnitt der in einem Gebiet praktizierenden Ärzte ins Kalkül. Da dieser Durchschnitt im betreffenden Versorgungsgebiet hoch ist, geht die KVN davon aus, dass sich die Situation noch zuspitzen wird. Um gegenzusteuern, hat sie für zwei Hausarztsitze im Versorgungsgebiet Nordenham eine Förderung ausgeschrieben.
Gefördert wird auch die Niederlassung eines Hautarztes und eines Hals-Nasen-Ohrenarztes. Ob Butjadingen davon und von der Hausarzt-Prämie profitieren kann, bleibt abzuwarten. Axel Linneweber hofft eher darauf, dass sich Mediziner finden, die nach Butjadingen kommen, weil sie gerne hier leben und arbeiten möchten. Allerdings ist ihm klar, dass das die Suche nach der Nadel im Heuhaufen ist.