Sport

Niederlage für den DFB schon vor dem Anpfiff

Trotz Rückendeckung der Innenministerin Nancy Faeser spürt DFB-Präsident Bernd Neuendorf beim Besuch der mobilen Fanbotschaft in Doha die große Enttäuschung der Basis, was seinen Verband noch vor dem WM-Auftaktspiel in den Grundfesten erschüttert

Nancy Faeser und ein Fan

Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern, und Deutschland-Fan Bengt Kunkel unterhalten sich bei einem Pressetermin vor der der Mobilen Fan-Botschaft des DFB in Doha. Foto: Gambarini/dpa

Eine sanfte Brise wehte durch die Hochhausschluchten von Doha. Die bunten Fahnen der WM-Teilnehmer flatterten sanft im Wind, als Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und DFB-Präsident Bernd Neuendorf die mobile Fanbotschaft vor dem Einkaufszentrum „The Gate Mall“ besuchten. An dem kleinen Zeltbau mitten im Herzen der katarischen Hauptstadt drängelte sich eine Hundertschaft Medienvertreter, die den Gesprächen mit deutschen Fans öffentlichkeitswirksam lauschen sollten. Von Angesicht zu Angesicht bekam Neuendorf mit Blick auf ein riesiges WM-Maskottchen zu hören, welch Orkan der Entrüstung seinem Verband entgegenschlägt. Der verlorene Machtkampf mit der FIFA um das Tragen der „One-Love“-Binde erschüttert den DFB in seinen Grundfesten - und stellt den früheren Politiker aus Düren vor die schwierigste Aufgabe seiner jungen Amtszeit.

Der 61-Jährige erfuhr aus erster Hand, wie die gerne von seiner Institution proklamierten Werte bei dieser WM im Einzelfall mit Füßen getreten werden. Bengt Kunkel, ein selbstbewusster Sportjournalismus-Student aus Münster mit schwarz-rot goldener Schminke im Gesicht, erzählte, was ihm beim Besuch des WM-Spiels Niederlande gegen Senegal am Montag widerfahren war.

Überzeugungen werden auf den Abfallhaufen geworfen

Anfangs sei er nach Diskussionen noch mit einem Schweißband und einer Binde in Regenbogenfarben ins Stadion gelangt, berichtete der 23-Jährige, doch „Mitte der zweiten Halbzeit wurde ich von vier Polizisten von meinem Platz eskortiert, stand in einem Pulk von 15 Polizisten, die mich aufgefordert haben, die Binde abzugeben - sonst müssten sie mich mitnehmen“. Alles habe er „komplett so erwartet: „Sei es, dass Deutschland von der der ‚One-Love‘-Binde einen Rückzieher macht, sobald es von der FIFA ein bisschen Gegenwind gibt; sei es, dass mir solche Sachen direkt abgenommen werden.“ Die Binde sei in den Müll geschmissen worden. „Mir hat man nach dem Spiel gesagt, ich könnte jeden Mülleimer durchsuchen – das habe ich aber gelassen.“ Nichts illustriert deutlicher, welche Überzeugungen auf dem Abfallhaufen landen.

„Das ist für uns definitiv kein Zeichen des Willkommens, wenn man wegen solcher Zeichen aus dem Stadion geführt wird“, konstatierte Neuendorf mit leiser Stimme. Das klang nicht deutlich genug: Aus dem Hintergrund meldete sich Olaf Sommerfeld, Notar, Fan und Funktionär aus Niederbayern. Wenn sich der DFB nicht ändere, rief der 46-Jährige in Richtung Neuendorf, „dann werde ich gegen Sie kandidieren!“ Seine Meinung zu WM, FIFA und DFB: „Es kotzt mich nur noch an!“

Faeser geißelt FIFA-Entscheidung als „großen Fehler“

Faeser sagte kurz darauf, sie sei wegen der Fans betroffen. „Das enttäuscht mich doch sehr", so die für den Sport zuständige SPD-Politikerin, die das rigorose Eingreifen der FIFA in dem Streit um das Stückchen Stoff als „großen Fehler“ geißelte.

Auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass die Verbände nicht nachgeben, so stehe doch der Weltverband am Pranger, der den DFB und andere unter Druck gesetzt habe. Für sie ist „völlig unverständlich“, dass die FIFA nicht wolle, dass offen für Toleranz und gegen Diskriminierung eingetreten werde: „Das passt nicht mehr in unsere Zeit.“ Kleinlaut musste die Ministerin gegenüber den Anhängern einräumen, dass die vom katarischen Kollegen Khalid bin Khalifa Al-Thani erst Anfang des Monats gegebenen Sicherheitsgarantien offenbar nicht viel Wert sind. „Ich kann Ihnen keine Garantie geben. Ich bin nicht für die Sicherheit hier zuständig.“ Zumindest setzte sie beim Spiel zwischen Deutschland und Japan ein Zeichen. Auf der VIP-Tribüne, wo FIFA-Präsident Gianni Infantino saß, trug sie die für Neuer verbotene „One Love“-Binde für Vielfalt. Faeser hatte sie erst unter ihrem pinken Blazer verborgen, den sie nach dem Anpfiff auszog.

Vor dem Anpfiff hatten die Spieler eine vielsagenden Geste gegen die FIFA gemacht. Beim Mannschaftsfoto hielten sie sich demonstrativ die Hand vor den Mund. „Es soll ein Zeichen gewesen sein von uns als Mannschaft, dass die FIFA uns mundtot macht“, erläuterte Bundestrainer Hansi Flick nach der Partie.

DFB prüft eine Klage gegen die FIFA

Was ist noch zu tun? Neuendorf berichtete am Mittwoch aus einer Schaltkonferenz mit den betroffenen Nationalverbänden. Von der FIFA hatte der DFB zuvor eine schriftliche Antwort auf die Anfrage erhalten, was beim Anlegen der ominösen Binde hätte passieren können. Eine Verwarnung durch den Schiedsrichter wäre nur die eine Sanktion gewesen. „Zudem behält sich die FIFA vor, die Disziplinarkommission anzurufen, die dann gegebenenfalls weitere Strafen verhängen könne.“ Man prüfe nun eine Klage, doch ob diese wirklich aufgesetzt wird, ist offen. Eine Bewerbung um die Frauen-WM 2027 mit den Niederlanden und Belgien braucht Deutschland beim Weltverband dann wohl gar nicht mehr einreichen, wenn ein juristischer Clinch angezettelt wird. Aber es geht vorher um mehr - um Werte, um Ansehen und letztlich auch um viel Geld.

Sponsoren stellen Zusammenarbeit infrage

Wenn Sponsoren wie der Lebensmittelkonzern Rewe öffentlichkeitswirksam vor dem ersten WM-Spiel ihre Unterstützung für Deutschlands liebstes Kind einstellen, ist allergrößte Gefahr im Verzuge. Der Verband scheint aktuell kaum mehr etwas richtig machen zu können, obwohl auch die vielen Widersprüche deutscher Politik im Umgang mit dem Wüstenemirat durchschimmern, wenn Katar für künftige Energielieferungen und stattliche Investitionen deutscher Konzerne gut genug ist. Dazu aber wurde Faeser gar nicht gefragt.

Statt dessen betonte die symbolträchtig in einem pinkfarben Anzug gekleidete 52-Jährige, dass sie sich mit katarischen Organisatoren über die Lage des Frauenfußballs und von Frauenrechten ausgetauscht. Sie wolle auf jeden Fall weiter an kritischen Gesprächen mit einem Land festhalten, in dem der deutsche Fußball schon vor Anpfiff des ersten WM-Spiels eine Niederlage von ungeheurem Ausmaß kassiert hat.

Frank Hellmann
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