Ein Reporter sollte keine Emotionen zeigen. Das sagte mir ein langjähriger Kollege am Freitagabend nach getaner Arbeit in Stuttgart. Akzeptieren konnte ich das nicht. Auch ich schämte mich meiner Emotionen nach diesem Viertelfinal-Drama nicht. Wie 2016, als Bastian Schweinsteiger in der Mixed-Zone nach dem Ausscheiden im Halbfinale über seinen Fehler, der zum entscheidenden Elfmeter für die Franzosen führte, sprechen wollte und ihm die Stimme versagte. Oder wie ich Joachim Löw zwei Jahre später beim Ausscheiden gegen Südkorea begegnet war. Wir konnten beide nicht reden. Auch ich schämte mich meiner Tränen nicht.
Der Bundestrainer spricht mit belegter Stimme
Freitagabend. Stuttgart-Arena. Pressekonferenz. Julian Nagelsmann erscheint lange nach Spielende mit gesenktem Kopf. Seine feuchten Augen sind aus der ersten Reihe deutlich zu sehen. „Ihre Fragen bitte“, sagt die UEFA-Sprecherin. Ich melde mich und ein Nicken bestätigt mir den Zuschlag. Zuvor hatte ich Niclas Füllkrug gehört, der mit großer Hochachtung von den Worten seines Trainers in der Kabine berichtet hatte. Darauf nahm ich Bezug. Julian Nagelsmann blickte mich direkt an. Die Füllkrug-Worte schienen ihn zu berühren. Mich auch. Mit belegter Stimme fragte ich, was er seinen Mannen gesagt habe. Nagelsmann schluckte, wartete einige Sekunden, wischte sich am rechten Auge, sagte mit brüchiger Stimme, dass er sich über die Füllkrug-Aussage freue und sprach über die tolle Zusammenarbeit mit seinem Team.
Bemerkenswertes Statement
Immer wieder blickte er mich an, um dann dieses bemerkenswerte Statement zu geben: „Ich finde, dass wir es gemeinschaftlich geschafft haben, ein Land, das viel zu viel in Tristesse und stetig in Schwarzmalerei verfällt, ein bisschen aufzuwecken. Schöne Momente zu bescheren. Ich hoffe, dass diese Symbiose zwischen Fußball-Fans und der Fußball-Mannschaft auch in der normalen Gesellschaft stattfindet, dass wir begreifen, dass wir als Gemeinschaft mehr bewegen können, dass nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht und individueller sein will als sein Nachbar. Mit seinem Nachbarn ist man stärker als ohne. Einfach ein Tick mehr Dinge wieder gemeinsam machen, diese Gemeinschaft hat sehr gutgetan.“
Ich war beeindruckt. Was für ein Statement eines Trainers. Sätze, die in diesem Land ihre Wirkung haben sollten. Sollte mich irgendjemand fragen, was mein Moment bei dieser EM gewesen war, dann werde ich ihr oder ihm von dieser PK berichten. Julian Nagelsmann hat mein Herz berührt.