Sie fällt einfach vom Himmel. Liegt mit gespreizten Schwingen auf dem Rücken. Vielleicht 20 Schritte bin ich entfernt, als etwas an der rotgeziegelten Strandhallen-Treppe aufprallt. Dann sehe ich’s: eine noch recht junge, grau melierte, wunderschöne Möwe. Reglos. Kein Blut zu sehen.
Ganz nah heran bin ich, während mich aus halb geschlossenem „Lid“ ein rundes, schwarzes Auge anblickt. Nichts Gelbes, wie üblich bei Möwen. Schwarz. Es glänzt. Wie lebend. Beseelt. In Vogelgrippe-Zeiten soll ein vielleicht infiziertes Tier nicht mitten zwischen so viel Menschen, spielenden Kindern, liegen. Während ich nach dem Handy krame, tritt ein Mann heran, packt die Vogelkrallen, zieht das vielleicht doch noch nicht verendete Tier unnötig, grob, respektlos über den Steinboden, sagt „tot“, geht weiter.
Ich hab bei 112 erst die Oldenburger Feuerwehr dran, werde zur hiesigen Zentrale verbunden, erkläre kurz. Sie kommen. Noch fast zehn Minuten bleib ich bei dem Vogel, seinen Glanzblick in meinem. Mir kommen all die Menschen, deren Sterben ich unmittelbar erlebt habe, in den Sinn. Ihre letzten Blicke. So wie mit ihnen spreche ich unwillkürlich ganz leise mit der Möwe. Als könne sie es hören.
Denke dabei, ob sie noch leiden muss, und ob Vögel eine Seele haben? Sicherlich. Es sind Kreaturen. Wie wir. Auch Pflanzen sind Geschöpfe, fähig zu kommunizieren, zu empfinden. Aber nur wir Zweibeiner sind des Übel-Wollens fähig... Ich schreib einen Zettel „Nicht berühren, Feuerwehr kommt“, gehe, und sehe noch, wie zwei Retter mit Korb anrücken. Etwas beruhigt mich: Vielleicht blieb ihr da oben mitten im Gaukelspiel mit Licht und Luft das Herz stehen? Was für ein Abgang...