Sie testen ihre Flügel, recken die Schnäbel in die Luft und stolpern übereinander. Ein Altstorch betrachtet den putzigen Nachwuchs aus der Distanz. Den Vögeln mit der Hilfe einer Webcam auf der Webseite seier-storch.de ins Nest zu schauen, fühlt sich an, als wäre man Teil der Nistgemeinschaft. Doch Unternehmer Ulrich Seier geht es um mehr: „Wir wollen durch die Webcam zusätzliche Aufmerksamkeit auf den Weißstorch lenken und dazu anregen, sich tiefgehend mit dieser besonders schönen Vogelart auseinanderzusetzen.“

Blick von der Webcam in eines der Storchennester auf dem Dorumer Firmengelände von Seier/Wähler. Über die Webseite seier-storch.de kann man das Geschehen verfolgen. Foto: Seier Unternehmensgruppe
Unternehmer Ulrich Seier ist Storchenfan seit Kindertagen
Seier ist Storchenfan seit Kindertagen. „Als Sechsjähriger fand ich Störche mit ihren langen Schwingen, die ich in den Nachbarorten gesehen habe, imposant. Obwohl mein Heimatort Dorum in Bezug auf die Nachbargemeinden groß war, hat es hier für mich keine erkennbaren Storchennester gegeben. Das wollte ich ändern.“ Vor 14 Jahren hat der Gesellschafter und Geschäftsführer der Seier Unternehmensgruppe in Dorum die erste Nisthilfe auf dem Dorumer Unternehmensgelände installieren lassen. Später kamen Nummer zwei und drei dazu.
Auch Achim Mülter liebt es, die Tiere mit den langen roten Schnäbeln und den zierlichen Beinen zu beobachten. Seit fast 40 Jahren erfasst der Bremerhavener in seiner Freizeit Störche im Kreis Cuxhaven und in Bremerhaven, zählt sie, berät Nisthilfenbesitzer und zieht Jahr für Jahr Bilanz.
Störche: 264 Brutpaare im Cuxland gezählt - 28 mehr als 2022
Was der Storchenbeauftragte in diesen Tagen bei seinen Storchentouren in der Region beobachtet, stimmt ihn optimistisch: „Für Weißstörche sieht es gerade sehr gut aus.“ 264 Brutpaare hat er bislang im Cuxland gezählt. 28 mehr als im vergangenen Jahr. „Das hat es noch nicht mal vor 60 Jahren gegeben“, sagt Mülter, „damals hatten wir 206 Brutpaare.“

Jahre, in denen die aktuelle Zahl der hier brütenden Störche übertroffen wurden, liegen weit zurück. Um 1900 herum habe es in der nördlichen Region zwischen Elbe und Weser alten Aufzeichnungen zufolge etwa 500 Brutpaare gegeben, hat Mülter recherchiert. Ob sich die alten Zahlen auf das heutige Landkreis Cuxhaven-Gebiet oder nur den Altkreis Wesermünde beziehen, vermag er nicht zu sagen. Sicher weiß er, dass es 1991 - im schwächsten Storchenjahr - gerade einmal 33 Brutpaare und 23 ausgeflogene Jungvögel gewesen sind. Und das im gesamten Landkreisgebiet.
Selbst Bremerhaven ist wieder Storchenbrut-Gebiet
Selbst in Bremerhaven hat Mülter in diesem Jahr drei Brutpaare gezählt. Sie alle nisten in Wulsdorf. Ein Riesenerfolg für die Stadt, findet Mülter. Die ältesten Aufzeichnungen, die er eingesehen hat, reichen bis ins Jahr 1955 zurück und selbst damals seien in Wulsdorf nur zwei Storchenpaare ansässig gewesen.

Ein mittlerweile wieder häufiges Bild im Cuxland: In diesem Jahr haben im Kreisgebiet mindestens 264 Weißstorchpaare gebrütet. Foto: Heike Leuschner
Dass der Landkreis Cuxhaven und Niedersachsen insgesamt zu den beliebtesten Storchenbrutgebieten in Deutschland gehören, führen Experten wie Mülter vor allem auf das veränderte Zugverhalten der gen Westen ziehenden Weißstörche zurück. Zogen die Tiere früher bis nach Afrika, überwintern sie heute in Spanien und Portugal, weil es dort warm genug ist. Dadurch sparen sie Energie und schaffen es frühzeitig in ihre deutschen Brutgebiete zurück.
Einem Jungstorch dank Webcam und Steigereinsatz das Leben gerettet
„Die ersten, die wir hier mal hatten, kamen schon im Februar“, erzählt Ulrich Seier. Der Dorumer beobachtet die Tiere auf seinem Firmengelände von der Ankunft im Frühjahr bis zum Abflug im Spätsommer. Weil er nicht mehr nur mit bloßem Auge, sondern auch Spektiv und Webcam nach seinen tierischen „Werksangehörigen“ schaut, konnte er jüngst ein junges Storchenleben retten.

Unternehmer Ulrich Seier will mit den Webcams zusätzliche Aufmerksamkeit auf den Weißstorch lenken und dazu anregen, sich tiefgehend mit dieser besonders schönen Vogelart auseinanderzusetzen. Foto: Seier Unternehmensgruppe
Beim sonntäglichen Blick auf eine der Webcams sei ihm ein leblos wirkendes Junges in einem der Nester aufgefallen. Seier rief einen Mitarbeiter an, der wenig später samt Steiger auf dem Dorumer Betriebsgelände erschien. Sie holten das kranke und fast verdurstete Tier aus dem Nest, flößten ihm Wasser ein und brachten es zur Storchenstation nach Berne im Kreis Wesermarsch. Dort wurde das Junge behandelt und wird dort auch weiter gepflegt, bis es im Spätsommer wegfliegen kann.
„Die Schwächsten müssen während der Brutsaison dran glauben“
Hätte Seier den Pflegling seinen Storcheneltern überlassen, wäre es wohl kaum wieder gesund geworden. Davon ist auch der Storchenbeauftragte Mülter überzeugt: Schon oft hat er erlebt, dass kranke oder schwache Junge von ihren Eltern aus dem Nest geworfen oder sogar - wenn sie noch sehr klein sind - aufgefressen werden. „Das ist die Kehrseite der Medaille“, kommentiert Mülter das Verhalten der Storcheneltern. Doch die Altstörche wüssten genau, wie viele Jungstörche sie groß bekommen. „Das ist Instinkt. Sie wissen auch, was sie im Umfeld an Nahrungsangebot haben. Die Schwächsten müssen während der Brutsaison dran glauben.“
Wie viele Jungtiere in diesem Jahr aus dem Kreis Cuxhaven in südliche Winterquartiere fliegen werden, vermag Mülter derzeit noch nicht zu sagen. 422 Jungstörche waren es im vergangenen Jahr. Insgesamt habe sich der Weißstorchbestand in Deutschland so gut erholt, dass Mülter glaubt, dass die Art demnächst von der Roten Liste der gefährdeten Arten gestrichen werden könnte.
Geplanter Ausbau der Windkraft bereitet Storchenbeauftragten Sorgen
Mülter hofft, dass es beim guten Erhaltungszustand bleibt und sorgt sich gleichzeitig. Insbesondere macht sich der Naturfreund wegen des geplanten Ausbaus von Windenergieanlagen Gedanken. „Schon jetzt sind viele Störche durch den Flügelschlag der Windmühlen umgekommen oder schwer verletzt worden“, sagt der Storchenbeauftragte.
Noch mehr als um die Zukunft des Weißstorchs sorgt sich Mülter derzeit um andere Federtiere: „Viele Wiesenvögel und Vögel der Agrarlandschaft, wie Kiebitz, Feldlerche, Grauammer, Pekasine, Rotschenkel oder Großer Brachvogel kommen gar nicht mehr in dieser Landschaft zurecht“, beklagt der Vogelfreund. Dabei seien diese Vögel bis vor 20 Jahren noch gängige Brutvögel im Kreis Cuxhaven gewesen. Immer größere landwirtschaftliche Maschinen würden mit ihren Rädern immer mehr Erde verdichten, Bodenbrüter hätten auf intensiv bewirtschafteten Feldern kaum noch eine Chance. „Auch Fasane und Rebhühner muss man mittlerweile suchen.“