Bremerhaven

„Pressefreiheit verteidigen“ – Ein Kommentar von Christoph Linne

Pressefreiheit ist kein Selbstläufer. Christoph Linne, Chefredakteur der NORDSEE-ZEITUNG, zeigt, warum Journalismus täglich unter Druck steht – und warum er gerade jetzt Haltung braucht.

Christoph Linne, Chefredakteur der NORDSEE-ZEITUNG

Christoph Linne, Chefredakteur der NORDSEE-ZEITUNG: Die Pressefreiheit ist in Gefahr: Selbst in Deutschland müssen Journalisten gegen Einflussnahme kämpfen. Über Verantwortung und klare Haltung. Foto: RADOSLAW POLGESEK

Gedenktage dienen einem wichtigen Zweck: sie erinnern, mahnen, sensibilisieren und rütteln uns wach. Die Aufmerksamkeit für historische Wendepunkte, gesellschaftliche Missstände und globale Bedrohungen lässt sich durch solche Tage der kollektiven Erinnerung effektvoll bündeln. Doch ein Dilemma eint viele dieser Anlässe: Auf den Gedenktag folgen eben 364 weitere Tage, an denen das Problem weiterbesteht. Was sich am Beispiel des Internationalen Tages der Pressefreiheit trefflich zeigt.

Pressefreiheit braucht mehr als schöne Worte

Als einer der Grundpfeiler der Demokratie ist die Pressefreiheit unbestritten und wird in Sonntagsreden in Ehren gehalten. Journalisten müssen sich im Alltag hingegen landauf, landab gegen Druck stemmen und Manipulationen abwehren. Die Versuche, das Ergebnis ihrer Arbeit zu beeinflussen, sind auch in Deutschland allgegenwärtig.

Reporter ohne Grenzen: Die globale Lage verschlechtert sich

Der Blick auf die jährlich aktualisierte Karte der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ macht transparent, dass sich die Lage der Pressefreiheit im weltweiten Vergleich sogar weiter deutlich verschlechtert (siehe Seite 7). Medien und Medienmacher werden verfolgt, schikaniert und verbreitet auch mit Gewalt an ihrer Arbeit gehindert.

Täglicher Druck auf Journalisten – auch in Deutschland spürbar

Diese Situation klar zu benennen, ist und bleibt bitter nötig:

  • weil Despoten kritische Journalisten aufgrund ihrer Arbeit im Dienste und Interesse der Gesellschaft massenweise einsperren, um ihre Macht zu sichern;
  • weil selbstherrliche Präsidenten alternative Fakten zu Wahrheiten umdeuten wollen;
  • weil Populisten die Arbeit von Journalisten pauschal verunglimpfen;
  • weil viele Menschen den Meinungen aus ihrer durch Algorithmen gefütterten Filterblase mehr Glauben schenken, als geprüften Informationen und gesicherten Erkenntnissen.

Wenn Gesprächspartner Einfluss nehmen wollen

Auch abseits der großen Weltbühne trifft Journalismus auf Widerstände. Um die Freiheit der Presse muss täglich auf vielen Ebenen gerungen werden. Typischerweise in Gesprächen mit Akteuren, die versuchen, sich im eigenen Interesse möglichst vorteilhaft zu inszenieren. Die Methoden sind vielfältig, die Taktiken oft durchschaubar. Manche Gesprächspartner wollen ihre Zitate „zur Sicherheit“ noch mal gegenlesen. Andere fordern, gleich den gesamten Beitrag vorab zur Freigabe zu erhalten. Es ist außerdem zur weitverbreiteten Unsitte geworden, dass vor Gesprächen erst einmal Bedingungen für die Arbeit von Autoren und Fotografen ausgelotet werden sollen. Am liebsten, um unbequeme Themen und Fragen gleich ganz auszuklammern. In dem gleichen Maße, in dem Gesprächspartner über soziale Netzwerke und Ego-Blogging im Internet die Deutungshoheit selbst zu steuern vermögen, nimmt womöglich auch die Begehrlichkeit zu, die Kommunikation gegenüber Journalisten ebenso kontrollieren zu wollen. Zu den Personen, die versuchen, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, gehören aber auf der anderen Seite immer auch Menschen, die dies dulden. Eine klare Haltung, sich eben keine Konditionen diktieren zu lassen, spricht sich aber gottlob schnell herum.

Warum journalistische Glaubwürdigkeit unverzichtbar ist

Journalisten – ob frisch im Beruf oder erfahren – stehen immer wieder vor dem Spagat, Wahrhaftigkeit zu bewahren, wo Manipulation droht. Solche Erfahrungen schärfen den Blick. Sie lehren Haltung: Wer sich nicht instrumentalisieren lässt, bleibt glaubwürdig. Und Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut journalistischer Arbeit. Sie schafft und stärkt das Vertrauen der Leserinnen und Leser. Und genau da, wo Medien kompromisslos Klartext sprechen, zeigen sie, was Pressefreiheit wirklich bedeutet: unbequem sein dürfen. „Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun“ – so hat es der US-Journalist Stewart Alsop (1914-1974) einmal auf den Punkt gebracht.

Demokratie braucht freien, unbequemen Journalismus

Wir leben in einer Zeit gravierender Umbrüche, geopolitischer Verwerfungen und gesellschaftlicher Fliehkräfte. In einer von nationalen und internationalen Krisen gebeutelten Welt. Erhebliche Gefahren gehen von Kriegen, Flucht, Vertreibung und den Folgen des Klimawandels aus. Eine Zeit, in der unsere bedrohte Demokratie verteidigt werden muss und viel mehr auf dem Spiel steht als unsere wankende Wirtschaft und der zweifellos labile Generationenvertrag in Deutschland. Der Ton wird rauer, die Bedrohung komplexer.

Geopolitische Bedrohungen und die Rolle der Medien

Donald Trumps dramatischer Schwenk in der Außen- und Sicherheitspolitik hat Europa bereits konkret unter Zugzwang gesetzt, sich schnellstens besser zu rüsten. Und zwar in jeder Hinsicht. So rücksichtslos wie Trump agiert, auch internationale Abkommen ignoriert, so erbarmungslos wird er weiter danach streben, die Welt mit Feudalherrschern wie Wladimir Putin geopolitisch so zu gestalten, dass sich die schwachen Staaten eben den starken Mächten unterzuordnen haben. Immer auf den eigenen Vorteil bedacht, werden diplomatische Regeln gebrochen, Vereinbarungen einseitig außer Kraft gesetzt, Bündnisse gekündigt. Gefälligkeiten gibt‘s nur noch gegen Geld, Grund und Bodenschätze.

Europa steht in der Pflicht, demokratische Werte zu verteidigen

Die neue deutsche Regierung steht vor der historischen Aufgabe und Chance, sich dieser Entwicklung im Schulterschluss mit gleichgesinnten europäischen Staaten entgegenzustellen. Gemeinsam mit friedliebenden Nationen kann sie zeigen: Die Verteidigung demokratischer Grundwerte ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern unsere dringendste Aufgabe.

Recherchieren, einordnen, Haltung zeigen

Umso wichtiger ist in diesen Zeiten die Wächterrolle durch eine freie Presse. Und die arbeitet auf Basis klassischer journalistischer Tugenden: hartnäckiger Recherche, treffender Analyse und klarer Sprache. Sie liefert Hintergründe und ordnet ein, was vor der Haustür geschieht und was das für die Menschen vor Ort bedeutet. Dazu braucht es den Mut, sich auch einmal zwischen die Stühle zu setzen, gegen Eliten aufzulehnen und im Interesse der Leserinnen und Leser die Stimme zu erheben.

Einseitigkeit schadet – Medien tragen Verantwortung

Wer in solchen Zeiten nur einseitig berichtet, verharmlost oder unangenehme Wahrheiten ausklammert, gefährdet nicht nur seinen eigenen Ruf, sondern beschädigt durch solche Manipulationen die Branche insgesamt, befeuert pauschale Kritik und eine misstrauische Haltung gegenüber Journalistinnen und Journalisten.

Pressefreiheit sichern, bevor es zu spät ist

Wir leben in einer Zeit, in der wir von allem den Preis kennen, aber vielleicht zu selten den Wert. Deshalb und bevor es zu spät ist: Es liegt an jedem Einzelnen, die Arbeit von Journalisten fairer zu schätzen, ihre Courage bei der Abwehr der versteckten Manipulationen des Alltags anzuerkennen und entschiedener für die Freiheit der Presse einzutreten. Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, auf sie zu verzichten.

Christoph Linne

Chefredakteur

Christoph Linne sorgt seit November 2017 als Chefredakteur für frischen Wind bei der NORDSEE-ZEITUNG, ihren Schwester-Titeln und den digitalen Angeboten. Den Grundstein für seine Laufbahn legte der 1972 in Marburg geborene Journalist in Hessen, startete 1994 als freier Mitarbeiter, hospitierte bei der Frankfurter Rundschau, volontierte bei der Oberhessischen Presse (OP). Dort wurde er nach Stationen und Funktionen in allen Ressorts im Jahr 2005 zum damals jüngsten Chefredakteur Deutschlands berufen.

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