Nordenham

Endgültiger Siegeszug der musikalischen Billigmöbel

Noch vor einer Woche schilderte ESC-Fan Jens Schönig, dass seine Euphorie für den Wettbewerb in diesem Jahr vor einem Loch stand. Jetzt ist sie einen Schritt weiter.

Endgültiger Siegeszug der musikalischen Billigmöbel

Wie ich in der vergangenen Woche an dieser Stelle angekündigt hatte, fand am vergangene Sonnabend das Finale des Eurovision Song Contest statt. Sangestalente und solche, die sich dafür halten aus 26 Ländern trafen in Liverpool aufeinander, im Wettstreit darum, wer der in Europa beste und beliebteste von ihnen sei.

Falsch. Es ging natürlich rein ums Gewinnen. Und gewonnen hat weder der beste noch der beliebteste Beitrag. Loreens „Tattoo“ aus Schweden war über weite Strecken recyceltes Material aus der Massenproduktion schwedischer Lohnschreiber und wurde dem Publikum lediglich dadurch als „besonders“ verkauft, dass die Künstlerin sich mit den Fingernägeln von Freddy Krüger aus „Nightmare on Elm Street“ verziert zwischen zwei überdimensionalen, psychedelisch illuminierten Grillplatten wand und räkelte. Und deutlich beliebter als ihre musikalischen Schmerzensschreie war beim Publikum der Finne Käärijä, der als Rumpelstilzchen in grünen Puffärmeln gefühlt die Bühne, die Halle und halb Liverpool in Grund und Boden spielte und die Zuschauer in und vor der Halle von Null auf Hundert in Mitgröl- und Feierlaune katapultierte.

Auf den Siegerthron hievten Loreen schließlich 180 „Experten“ aus den internationalen Jurys, die das Urteil von 500 Millionen Musikfans in Europa dank eines Wertungssystems, das die EBU offensichtlich direkt aus dem Preußischen Dreiklassen-Wahlrecht übernommen hat, schlicht entwerteten. Dass ich mit meiner Meinung dazu nicht allein stehe, zeigte sowohl die wenig begeisterte Reaktion des Publikums in der Halle als auch vieler Fans in den sozialen Medien. Dass Schweden nun im kommenden Jahr genau 50 Jahre nach dem Sieg von ABBA den ESC austrägt und damit ein Wunsch in Erfüllung geht, den der schwedische EBU-Chef Martin Österdahl mehrfach öffentlich geäußert hat, gibt dem Ganzen in den Augen vieler ESC-Fans einen zusätzlichen Beigeschmack.

Ändern wird das freilich nichts. Die ESC-Shows im nächsten Jahr (voraussichtlich in Stockholm) werden innerhalb von Minuten ausverkauft sein, weil es gibt ja „irgendwas mit ABBA“. Schweden wird sich und seine mittlerweile musikalische Massenware steril abfeiern und schwedische Komponisten-Callboys die Teilnehmerländer mit weiterer musikalischen Ikea-Möbeln fluten.

So sehr mir NDR-Moderator Peter Urban in den letzten Jahren auf die Nerven ging, vielleicht hatte er in einem Recht: Vielleicht ist es an der Zeit, aufzuhören. Vielleicht sollte mein 45. ESC auch mein letzter sein. Im Moment bin ich so weit.

Jens Schönig

Reporter

Jens Schönig ist in Bremerhaven aufgewachsen. Sein Volontariat machte er bei einem Logistik-Verlag. Davor war er bereits freier Mitarbeiter der NORDSEE-ZEITUNG. Nach Tätigkeiten für mehrere Zeitungen im Nordwesten ist er seit 2023 Reporter bei der Kreiszeitung Wesermarsch.

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