Laut einem Zeugen aus der Nachbarschaft soll die Mutter auf der Straße gestanden, geschrien und versucht haben, das Auto zu stoppen, in dem ihr Ex-Partner und die gemeinsame Tochter saßen. Das berichtete am Montag ein Nachbar der 38-Jährigen dem Stader Tageblatt.
Der Mann habe die Frau auf der Udonenstraße fast angefahren, danach sei sie zusammengebrochen. Der Nachbar war nach eigenen Angaben Zeuge der Kindesentführung geworden.
Schüsse in die Luft
Wie berichtet, soll der Mann die Ex-Partnerin mit einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe bedroht und dabei einen Schuss in die Luft abgegeben haben. Mittlerweile ist bekannt, dass der Täter aus rechtlicher Sicht keine Waffe haben durfte. „Der Beschuldigte befindet sich nicht im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis“, sagte Oberstaatsanwältin Liddy Oechtering.
Andeutungen gegenüber einer Bekannten
Eine Frau, die ebenfalls in der Nähe wohnt, sagte gegenüber dem Tageblatt, sie und ihr Mann hätten sich im vergangenen Jahr einmal mit der Familie getroffen. In einem unbeobachteten Moment habe die Mutter ihr gegenüber Andeutungen gemacht, dass etwas nicht in Ordnung sei. Zwei Tage später seien Vater und Tochter weg gewesen.
Die erste Entführung der Tochter
Es dürfte sich um den Zeitpunkt handeln, als Salman E. seine Tochter zum ersten Mal entführt und mit in die Türkei genommen hatte. Der Kontakt zwischen den beiden Familien sei anschließend eingeschlafen.
Der Vater habe seine Tochter geliebt, ist die Frau überzeugt. „Er hat sich sehr um sie gekümmert, hat viel mit ihr unternommen.“ Die Tat selbst finde sie absolut falsch. Aber nicht bei seinem Kind sein zu dürfen, sei hart.
„Am 6. März 2022 hat die Mutter Salman E. zum ersten Mal angezeigt“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stade, Kai Thomas Breas, auf Anfrage. Da hatte er die Tochter zum ersten Mal entführt. Er war mit ihr in die Türkei gereist. Anschließend habe die Mutter von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Sie habe wohl versucht, die Situation mit ihrem Mann selbst zu regeln.
Im Juli 2022 habe die Mutter dann eine einstweilige Anordnung beim Familiengericht Stade erwirkt. Es handele sich dabei um eine Art Vorverfahren zum Entzug des Sorgerechts.
Am 2. September 2022 sei die 38-Jährige noch einmal bei der Polizei gewesen und habe Salman E. zum zweiten Mal angezeigt. „Er gibt mir das Kind nicht“, habe sie gesagt. Sie sei in die Türkei gereist, sagt Breas. Am 17. September des vergangenen Jahres habe sie das Kind über Griechenland zurück nach Deutschland geholt. Zwischen dem 2. und dem 17. September, das ist unser Tatzeitraum“, so der Staatsanwalt.
Der Strafbefehl des Amtsgerichts Stade wegen Entziehung Minderjähriger wurde am 12. Mai 2023 erlassen. Er sei am 10. Juni 2023 rechtskräftig geworden. 90 Tage à 40 Euro - der Vater wurde zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro wegen Entziehung Minderjähriger verurteilt.
„Es gab auch einen Vorfall im März 2023“, sagt Breas. Da sei Salman E. wegen Hausfriedensbruchs angezeigt worden. Da das kein Anliegen der Allgemeinheit sei, habe die Mutter den Privatklageweg einschlagen müssen.
Das Jugendamt kennt die Familie des Geiselnehmers bereits
Was in Hamburg passiert sei, sei gewichtiger als die Kindesentziehung mit Waffe in Stade. Darum liege der Schwerpunkt jetzt in Hamburg. Der Ermittlungsrichter hat gegen Salman E. am Montag Haftbefehl erlassen.
Was Mutter und Tochter betrifft: Das Jugendamt des Landkreises Stade kennt die Familie des Geiselnehmers bereits und war am Wochenende auch im Einsatz. „Nähere Hintergründe können wir aus Gründen des Sozialdatenschutzes und aus Rücksicht auf das Kindeswohl an dieser Stelle nicht mitteilen“, hieß es auf Nachfrage.
Wo sich Mutter und Kind derzeit aufhalten und wie es dem vierjährigen Mädchen geht, wollte die Polizei aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht sagen. Während der 18-stündigen Geiselnahme sei das Kind auf dem Rollfeld des Flughafens aber mit Essen und Trinken versorgt worden.
Aus Sicht der Trauma-Expertin Sibylle Winter braucht das Mädchen nun besonders viel Zuwendung und Sicherheit, aber auch Normalität. „Entscheidend ist, dass Unterstützung erfolgt, damit das Erlebnis ohne psychische Folgeschäden verarbeitet werden kann“, sagte die stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. Es sei aber auch wichtig, das Kind gut zu beobachten, um mögliche psychische Folgestörungen schnell zu erkennen und zu behandeln. (mit dpa)