Region

So faszinierend und gefährlich ist der Kreidesee in Hemmoor

Wieder ein Zwischenfall im Kreidesee in Hemmoor. Ein Sporttaucher landete nach einem Notaufstieg aus mehr als 30 Metern Tiefe im Krankenhaus. Wir zeigen, was den Kreidesee für Taucher so besonders und so gefährlich macht.

Eine der vielen Attraktionen im Kreidesee: ein LKW, der auf einer Straße zu stehen scheint.

Eine der vielen Attraktionen im Kreidesee: ein LKW, der auf einer Straße zu stehen scheint. Foto: Julian Mühlenhaus

Dieser Artikel erschien zuerst am 9. August 2020.

Mit schnellen, geübten Bewegungen streifen sich Anna Wisniowska und Agnieszka Hrywniak ihre Tauchjackets mit Druckluftflaschen und Atemregler über. Ans Handgelenk kommt der Tauchcomputer, an die Füße die Flossen. Über 600 Kilometer haben die 45-jährigen Frauen vom polnischen Ostseebad Ustka zurückgelegt, um im Kreidesee in Hemmoor im Landkreis Cuxhaven eine Woche lang zu tauchen.

Mit ihrem Club „Alpha Team“ waren sie schon an vielen Tauchorten: in Indonesien, in Norwegen, zuletzt im März in Sansibar - und nun das erste Mal in Hemmoor. „Wir haben gehört, dass der Platz hier sehr gut ist“, sagt Anna Wisniowska auf Englisch.

Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht. „Das Wasser ist klar und es gibt sehr interessante Sachen zu entdecken“, sagt die Sporttaucherin, bevor sie mit ihrer Tauchpartnerin von einem Holzsteg in den klaren, türkis schimmernden, 33 Hektar großen und bis zu 60 Meter tiefen See springt.

Järhlich kommen 30.000 Menschen

Der Kreidesee ist einer der beliebtesten Tauchspots in Deutschland, jährlich kommen über 30.000 Menschen aus der ganzen Welt. Auf dem Gelände gibt es eine Tauchbasis, einen Campingplatz und mehrere Ferienhäuser. „Der See ist legendär“, sagt Barbara Brost, die die Schule „Tauchteam Wasserfest Hannover“ leitet, und regelmäßig nach Hemmoor fährt.

Agnieszka Hrywniak (l.) und Anna Wisniowska aus Polen bereiten sich auf den Tauchgang im Kreidesee vor.

Agnieszka Hrywniak (l.) und Anna Wisniowska aus Polen bereiten sich auf den Tauchgang im Kreidesee vor. Foto: Schuldt/dpa

„Die Sichtweite ist super, das sind schon fast tropische Verhältnisse.“ Außerdem werde viel Unterhaltung unter Wasser geboten, darunter eine freischwebende Piper 28 sowie ein sieben Meter langer Plastikhai. „Wenn die Sonne durch das Wasser auf den Flieger fällt, ist das ein spektakuläres Fotomotiv“, schwärmt Brost.

Kreidesee schon mehrfach ausgezeichnet

Mehrfach wurde der Kreidesee schon als beste „Tauchbasis Deutschland, Österreich und der Schweiz“ mit dem „Tauchen Award“ ausgezeichnet. Das Gewässer ist deshalb so klar, weil dort bis 1976 Kreide für die Zementproduktion abgebaut wurde.

Nach der Stilllegung füllte sich die Grube mit Wasser. Weil dieses leicht basisch ist und wenig Plankton hat, schimmert es türkis. Industrierelikte unter Wasser wie Lkw-Rampen, Förderbänder sowie ein „Rüttler“ - ein Betongebäude mit Brücke und unterirdischen Gängen - zeugen von der Tagebau-Vergangenheit.

Immer mehr Attraktionen werden versenkt

Der Betreiber, der ehemalige Berufstaucher Holger Schmoldt, entdeckte den See Ende der 1980er Jahre. Er verliebte sich in das Gewässer und baute es zum Tauchspot aus. Im Laufe der Zeit versenkte er immer mehr Attraktionen: Autos, Wohnwagen, Lkw, ein Segelboot - und den Flieger. „Ein freischwebendes Flugzeug unter Wasser, das ist weltweit einmalig“, sagt Schmoldt. Selbst aus Brasilien seien schon Taucher in Hemmoor gewesen.

Am Ufer liegt eine riesige Röhre, sie soll demnächst versenkt werden. „Das ist die Spitze eines Fernsehturmes. An Land sieht sie unspektakulär aus, aber unter Wasser macht es Spaß durchzutauchen“, sagt der 54-Jährige. Fische schwimmen auch im See: Forellen, Barsche, Saiblinge und Zander.

Medien bezeichnen den See als „Todessee“

Wer nicht taucht, kennt den See meist aus den Nachrichten. Medien bezeichneten das Gewässer bereits als „Todessee“. Nach Polizeiangaben starben in den vergangenen fünf Jahren bei Unfällen vier Taucher, fünf weitere wurden schwer oder sogar lebensgefährlich verletzt. Bei der Menge an Tauchern jedes Jahr sei das jedoch nicht viel, findet Tauchlehrerin Brost.

„In den meisten Fällen handelte es sich um personenbezogene Ursachen, sprich eventuelle Vorerkrankungen, Selbstüberschätzung oder individuelle Tauchfehler“, betont ein Polizeisprecher. „Die Leute trauen sich zu viel zu“, sagt auch Betreiber Schmoldt. Trotz Vorerkrankungen würden manche von Arzt zu Arzt laufen, bis sie endlich ein Attest über ihre Tauglichkeit bekämen.

Im September kam ein 39-Jähriger um

Zuletzt starb im September 2019 ein 39-Jähriger im See. Die Polizei vermutet, dass der Taucher die Druckluftflaschen verwechselte und die Sauerstoffsättigung nicht hoch genug war. „Die Todesfälle haben dazu geführt, dass wir einen schlechten Ruf bekommen haben“, so Schmoldt. „Dabei haben wir eine Unfallrate von 0,01 Prozent.“

Oude Egbrink taucht im Kreidesee. Er ist extra aus dem Emsland angereist.

Oude Egbrink taucht im Kreidesee. Er ist extra aus dem Emsland angereist. Foto: Schuldt/dpa

Das sei unter dem, was beim Tauchen üblich sei. „Unsere Rettungskette funktioniert tadellos. Hier weiß jeder, was er machen muss, wenn ein Unfall passiert. Und trotzdem kann man tödliche Tauchunfälle nicht verhindern.“ Natürlich dürfe aus Sicherheitsgründen niemand allein ins kalte Nass gehen.

Kreidesee statt Kroatien

Auch Oude Egbrink und Dirk Pedina gehen zu zweit ins Wasser. Die beiden Sporttaucher kommen aus dem Emsland sowie dem Ruhrgebiet und wollten eigentlich mit ihren Familien nach Kroatien. Wegen Corona wurde es nun der Kreidesee, wo sie schon mehrmals waren.

Kreidesee

Icons: Flaticon

„Die Sichtverhältnisse im Wasser sind fast gleichwertig“, sagt Pedina. Mit seiner Frau war er schon vor dem Frühstück um sechs Uhr tauchen, nun ist der zweite Tauchgang dran. Zunächst soll es zum Plastikhai gehen. „Es hat was, wenn der vor einem plötzlich auftaucht“, sagt Pedina. Er setzt die Maske auf, nimmt den Atemregler in den Mund, hebt den rechten Fuß und springt. Oude Egbrink folgt ihm.

Holger Schmoldt ging in diesem Jahr erst einmal seinem Sport nach. „Ich habe über 5000 Tauchgänge in meinem Leben gemacht, irgendwann ist der Reiz weg.“ Er setzt sich inzwischen lieber in sein fünf Meter langes U-Boot. „Das ist viel einfacher, ich werde nicht nass und kann ein Käffchen dabei trinken“, sagt er verschmitzt.


0 Kommentare
Newsletter Der KZW-Newsletter
Alle wichtigen Nachrichten und die interessantesten Ereignisse aus der Region täglich direkt in Ihr E-Mail-Postfach. Mit Empfehlung aus der Redaktion.
PASSEND ZUM ARTIKEL

Wurster Nordseeküste

Camping zwischen historischen Flugzeugen in Nordholz

nach Oben