Inzwischen nickt sie, wenn ich vorbeikomme. Das ist viel. Auch der Stuhl neben der Haustür. Darauf hat sie jetzt zum erstenmal gesessen, in der Mittagssonne. Gekauert mehr. Ganz klein. Gekrümmt. Dunkel. Dunkler langer Rock, dunkle Strickjacke, dunkles Kopftuch tief auf zerfurchter Stirn. Ich weiß nicht, wer sie ist. Manchmal gibt die zerschlissene Gardine vor ihrem Fenster im Ergeschoss einen spaltbreit den Blick auf ihr umhülltes dunkles Gesicht frei. Es wirkt älter, als sie sein mag - verrunzelt, ledern. Ein hartes Leben hat sich eingegraben. Wenn ich vorüber komme und sie anlächle, lächelt sie inzwischen ein schmales, zahnloses Lächeln holziger Lippen. Zwei Jahre brauchte dieses scheue, winzige Zutrauen. Nie schaut sonst ihr Kopf aus geöffnetem Fenster heraus, sie bleibt drinnen, meistens hinter der zugezogenen Gardine. Einsam. Manchmal kann ich durch den Spalt ihre kleinen, knotigen Hände sehen, auf einem Sofa im Schoß ruhend, verhakelt wie an einander Halt suchend. Auch an diesem sonnigen Mittag, als sie - für mich überraschend - diesen klapprigen Stuhl neben die Haustür des alten Mietshauses nahe der Hafenstraße, am Stadtpark, gestellt hat. Im Park sehe ich sie aber nie. Als ich nach einer Stunde zurückkomme, ist sie nicht mehr da. Stuhl weg. Fenster zu. Gardine zu. Sie ist eine unter tausenden in unserer Stadt, jenen Alten, die aus der Fremde kamen, vielleicht vom Kosovo, vielleicht aus dem Orient, vielleicht vor Elend oder Grauen flohen, und die hier fremd bleiben. Sprachlos. Angefüllt vom Verstummen. Von Furcht. Sehnsucht. Heimweh. Hoffnungslosigkeit. Dunkle Gesichter hinter Gardinen. In diesen endlich helleren österlich blühenden Tagen hoffe ich etwas: Dass sie einmal wieder im Licht hockt. Nickt. Und mir ein Lächeln schenkt. Vielleicht.