In dieser Woche habe ich einer jungen Kollegin von der „Mundorgel“ vorgeschwärmt. Das kam so: Aus unerfindlichen Gründen hatte ich morgens beim Zähneputzen das Lied „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt‘“ im Kopf und wusste nicht mehr, wie der Text weitergeht.
Weil mich so etwas wahnsinnig macht und mich die Sache ohne sofortige Klärung den ganzen Tag über beschäftigt hätte, schnappte ich mir schnell die gute alte „Mundorgel“, die bei uns immer griffbereit im Bücherregal liegt. Ich war mir sicher sicher, dass das „Kolumbus“ darin zu finden sein würde. Und genau so war es auch.
Dass dem Lied vorgeworfen wird, Kolonialismus zu verherrlichen und ergo political correctness vermissen zu lassen, wurde mir nicht klar, als ich es laut und falsch vorm Badezimmerspiegel sang. Als ich es später per Googel gewahr wurde, war es zu spät - und mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal.
Darum geht es aber gar nicht. Entscheidend ist, dass ich auf der Arbeit besagter Kollegin, 31 Jahre jung, von meiner morgendlichen Gesangseinlage berichtete und sie mich mit sehr großen Augen ansah. In den Augen war folgende Frage zu lesen: Was um alles in der Welt ist die „Mundorgel“?
Ich erklärte es ihr - und kam mir umgehend uralt vor. Zum einen, weil ich Lieder kenne, die den Kolonialismus glorifizieren. Zum anderen, weil ich nicht nur von der Existenz der „Mundorgel“ weiß, sondern sogar ein Exemplar davon besitze, das zu allem Überfluss nicht ganz hinten in irgendeiner Schublade versteckt ist.
Am Abend kam ein Kollege ins Büro, der noch viel älter ist als ich. Ich fragte ihn, ob er die „Mundorgel“ kenne. Er führte die Hände vor die Lippen, tat so, als würde er Maultrommel spielen, und fragte: „Meinst du dieses komische Instrument?“ Nein, antwortete ich, das meine ich nicht. Ich meine dieses kleine rote Liederbuch, ein absoluter Klassiker. Jetzt guckte der alte Kollege am Abend mit genau so fragenden Augen wie die junge Kollegin am Morgen.
Die Moral von der Geschicht‘: Die „Mundorgel“ zu kennen, ist nicht notwendigerweise ein Indiz für beginnendes Greisentum. Darauf ein dreifaches „Widewidewitt, bum, bum!“