Deutschland dürfe sich von einem Land, das seine Werte nicht teile, nicht so abhängig machen, dass es erpressbar werde. Gut gesagt. Doch die Realität in Politik und Wirtschaft sieht anders aus. Und das macht die Scholz-Reise - die erste eines G7-Regierungschefs nach dem Volkskongress der Kommunistischen Partei - zu einer Herausforderung.
Für viele Unternehmen vor allem in der Auto- und Chemiebranche wird die Volksrepublik immer wichtiger. Volkswagen verkauft jedes dritte Auto nach China. Für Chemiekonzerne und Maschinenbauer ist China ein zentraler Markt: 7,4 Prozent der deutschen Exporte gingen im ersten Halbjahr 2022 dorthin. Das Land ist der viertwichtigste Absatzmarkt für die Deutschen nach den USA, Frankreich und den Niederlanden. „Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China steigt immer weiter. Das Gegenteil ist jedoch wegen der zunehmenden geopolitischen Spannungen nötig“, mahnt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Hohe Abhängigkeit bei den Importen
Was Ökonomen am meisten beunruhigt, ist die hohe Abhängigkeit bei Importen: 12,4 Prozent der Einfuhren kommen aus China. Damit ist das Land der wichtigste Importeur für Deutschland. „Trotz der Gefahren und Probleme haben sich die wirtschaftlichen Verflechtungen mit China mit einem enormen Tempo in die falsche Richtung entwickelt“, kritisiert Matthes. Bei Gas, Kohle und Öl hatte sich Deutschland Russland ausgeliefert. Bis vor dem Krieg gegen die Ukraine war Russland bei allen drei Energieträgern der wichtigste Lieferant – und dafür muss Deutschland nun in der Gaskrise bitter zahlen.
In China zeigen sich die Abhängigkeiten anders: Bei Seltenen Erden etwa, die für die Herstellung von Smartphones, LED-Lampen oder Turbinen von Windkraftanlagen benötigt werden, hat China fast eine Monopolstellung. Auch bei Lithium-Batterien ist es dominant. Wie sich Deutschland ausgeliefert hat, zeigte sich in der Corona-Pandemie, als die wiederholten chinesischen Lockdowns die Lieferketten durcheinanderbrachten, die Chipkrise brachte Auto- und Stahlindustrie in Not.
Ernüchtert sind deutsche Unternehmen auch wegen der Einmischung der Kommunistischen Partei in ihren chinesischen Niederlassungen, man sorgt sich um die Datensicherheit und kritisiert die Ungleichbehandlung bei Aufträgen. „Viele Unternehmen berichten von informellen Hindernissen und mangelnder Transparenz, die sie gegenüber ihren chinesischen Konkurrenten benachteiligen“, kritisierte unlängst der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI).
Zahlreiche Übernahmen durch chinesische Investoren
Auch in Deutschland selbst mischen Chinesen kräftig mit: Zwischen 2011 und 2020 haben 193 chinesische Investoren in 243 Fällen deutsche Unternehmen zu 50 Prozent oder komplett übernommen, so die Hans-Böckler-Stiftung. Das ist in einer freien Welt mit offenen Märkten kein Problem, so lange Investoren ihre Macht nicht ausnutzen. Das aber könnte drohen, wenn chinesische Firmen die Macht bei kritischer Infrastruktur übernehmen. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, warnte jüngst bei einer Anhörung im Bundestag: „Russland ist der Sturm, China der Klimawandel.“
Beim Einstieg der chinesischen Cosco-Reederei bei einem zentralen Terminal im Hamburger Hafen setzte sich Scholz über die Bedenken vieler seiner Minister hinweg und drückte den Deal durch, versehen nur mit der Deckelung der Beteiligung auf weniger als 25 Prozent.
Grünen geht die Liebedienerei zu weit
Für die Grünen geht die Liebedienerei des Kanzlers zu weit. Ihr EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer warf Scholz vor, „Merkel as usual“ zu spielen, während Chinas Präsident Xi Jinping seinen totalitären Kurs verschärfe: „Die Zeit, in der man in China schöne Geschäfte machen konnte, ohne sich gefährliche Abhängigkeiten einzuhandeln, ist vorüber“, sagte Bütikofer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Wenigstens sind die westlichen Partner dieses Mal eingebunden. Die Wirtschaft selbst geht vielfach in Deckung, anders als früher drängt nicht mehr jeder Konzernchef in die Kanzlermaschine, zumal die Corona-Auflagen scharf sind. (dpa/oer/yvo)