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Grauer Wall: Teure Deponie-Schließung in Bremerhaven

Ein Konzept über die Folgen einer Schließung der Deponie Grauer Wall bis 2030 haben SPD, CDU und FDP im Koalitionsvertrag angekündigt. Jetzt liegt ein Gutachten vor. Das Ergebnis: Je nach Schließungszeitpunkt ergeben sich Schadenersatz- und Ausgleichsverpflichtungen zwischen 164 und 373 Millionen Euro für die Stadt. Außerdem sind Effekte auf Bürger, Betriebe und das Klima zu erwarten.

Eine Mülldeponie

SPD, CDU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag ein Konzept über die Folgen der Deponie-Schließung angekündigt.

Foto: Heske


Die Entsorgungsbetriebe Bremerhaven (EBB) hatten das Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft an der Hochschule Bremen (IEKRW) mit dem Gutachten beauftragt, das dem Sj vorliegt. Das IEKRW ermittelte, unter welchen Bedingungen und mit welchen finanziellen und stadtgesellschaftlichen Folgen für die Stadt, die Bürger, die Wirtschaft und den Deponiebetreiber Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft (BEG) die Deponie bis spätestens 2030 geschlossen werden kann. Zum Vergleich untersuchten die Gutachter auch die Variante einer Schließung 2023. Ebenfalls berechnet wurden Klimaeffekte.

Keine rechtliche Handhabe für eine Schließung

In ihrer Bewertung kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass keine rechtliche Handhabe für eine Schließung vorliegt. Die Vorgaben an den Betrieb der Deponie würden eingehalten. Bisher eingereichte Klagen wurden abschlägig beschieden, ein von den Deponiegegnern der Bikeg beantragtes Strafverfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt. Schließen kann die Stadt die Deponie trotzdem. Allerdings wäre sie dann verpflichtet, Schadenersatz- oder Ausgleichszahlungen vorzunehmen.

Die Gutachter betrachten mit Blick auf mögliche Sanierungskosten auch Einwendungen der Bikeg zu den Abdichtungssystemen des Neudeponiekörpers, der geologischen Barriere und des Ringgrabens zur Ableitung des Sickerwassers aus dem Deponiekörper. Nach ihrer Einschätzung sei auf Basis der vorliegenden Informationen aus den Bikeg-Bedenken jedoch derzeit kein erhöhtes Sanierungsrisiko erkennbar, dass sich signifikant auf die Kosten des Weiterbetriebs beziehungsweise einer Schließung der Deponie auswirke.

So seien erhöhte Bor-Gehalte im Grundwasser im Anstrombereich nicht auf die Deponie zurückzuführen. Die Konzentrationen seien für die salzwasserbeeinflusste Marsch nicht ungewöhnlich. Obwohl im Grundwasser im Anstrom- und Abstrombereich Schadstoffe wie Blei, BTEX und Arsen gemessen wurden, lasse sich aus der Höhe und dem zeitlichen Verlauf der Schadstoffkonzentrationen keine Beeinflussung des Grundwassers durch die Deponie erkennen. Die Deponie entwässere offensichtlich in den Ringgraben. Einen Beleg für den Eintrag von Schadstoffen in das Grundwasser über den Ringgraben liege derzeit nicht vor. Bedenkliche Auswirkungen der Erhöhung der Auflast durch den Neudeponiekörper auf den Altdeponiekörper sehen die Gutachter ebenfalls nicht.

Negative Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft

Je nach Schließungszeitpunkt ergeben sich allerdings Schadenersatz- und Ausgleichsverpflichtungen zwischen 164 und 373 Millionen Euro für die Stadt. Wahrscheinlich sei ein Betrag zwischen 258 und 373 Millionen Euro. Hintergrund: Die Stadt ist verpflichtet, die Entsorgungssicherheit zu gewährleisten. Vom genehmigten Ablagerungsvolumen her könnte die Deponie rechnerisch bis in die 2040er Jahre hinein betrieben werden. Wenn die BEG auch nach einer Deponieschließung Abfälle zu den bisherigen Konditionen annimmt, die Abfälle aber auf anderen Deponien untergebracht werden müssen, entstehen zusätzliche Kosten. Eventuell müsse zudem das bisher auf dem Deponiegelände betriebene Zwischenlager mit Abfallbrennstoff für das Müllheizkraftwerk, das am Autobahnzubringer Mitte steht, neu gebaut werden. Eine Weiterbelastung der Schadenersatzzahlungen über die Abfallgebühren sei gebührenrechtlich nicht zulässig, da eine vorzeitige Schließung der Deponie rechtlich nicht geboten sei.

Die bei einer vorzeitigen Schließung der Deponie Ende 2023 zu erwartenden zusätzlichen klimaschädlichen Emissionen durch die alternative Entsorgung bei Dritten entsprächen 950.000 bis 1,2 Millionen Tonnen CO2. 600.000 bis 800.000 Tonnen CO2 wären es noch bei einer Schließung im Jahr 2030. Erzeugt würden die Emissionen vor allem durch Lkw-Transporte zu anderen Deponiestandorten in 300 Kilometern Entfernung. Durch den Einsatz gas- und wasserstoffbetriebener Lkw könne der klimaschädliche Effekt allerdings verringert werden.

Nach Ansicht der Gutachter seien die negativen Auswirkungen einer Schließung auf die Stadtgesellschaft erheblich. Die Schadenersatzzahlungen könnten die finanziellen Möglichkeiten der Stadt erheblich einschränken und zu Angebots- und Leistungskürzungen führen. Für Unternehmen könnten Unsicherheiten hinsichtlich der Entsorgung entstehen, unter anderem dadurch, weil die Bereitschaft anderer Bundesländer gering sei, die Abfallmengen aus Bremerhaven anzunehmen.

Politik muss abwägen

Es sei nach Auffassung der Gutachter daher nun von der Politik abzuwägen, inwieweit die Auswirkungen eine vorzeitige Schließung der Deponie rechtfertigten und eine solche Schließung dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs beim Verwaltungshandeln entspräche. Dieser Grundsatz sei verfassungsmäßig geboten.

Christian Heske

Redaktionsleiter SONNTAGSjOURNAL

Christian Heske, geboren 1967 in Bremerhaven, leitet seit 2013 die SONNTAGSjOURNAL-Redaktion. Seine ersten Artikel verfasste er 1989 für die Bremerhaven-Redaktion der NORDSEE-ZEITUNG. Nach einem Studium der Germanistik und Psychologie in Würzburg volontierte er in den Jahren 1996 bis 1998 bei der NZ. 1999 bis 2000 arbeitete er als Redakteur bei der Anzeigenzeitung Bremerhavener Kurier und wechselte anschließend bis Ende 2012 auf die andere Weserseite zur KREISZEITUNG WESERMARSCH in Nordenham.

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