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„Grüner Wasserstoff ist ein wichtiger Teil der Energiewende“

Neben dem Coronavirus war auch der Klimawandel ein großes Thema im Jahr 2020. Um diesem zu begegnen, werden die erneuerbaren Energien immer wichtiger – vor allem die Windenergie. Heike Winkler, Geschäftsführerin des Windenergie-Branchenverbands und Innovationsclusters WAB, bewertet im Interview die bisherigen politischen Entscheidungen und sagt, was noch getan werden müsste.

Heike Winkler wünscht sich einen stärkeren Ausbau der Windenergie.

Heike Winkler wünscht sich einen stärkeren Ausbau der Windenergie.

Foto: WAB


Laut einer Umfrage der Gewerkschaft IG Metall ist die Stimmung unter Arbeitgebern in der Windkraftbranche wieder optimistisch. Können Sie das bestätigen? Die Wind-Wertschöpfungskette wird nur in Teilen durch die IG Metall vertreten, um das Stimmungsbarometer ein wenig zu relativieren. Natürlich bedeutet das 2040-Ziel von 40 Gigawatt (GW) langfristig Sicherheit für die WAB-Mitgliedsunternehmen. Stand heute gibt es in Nord- und Ostsee allerdings sehr wenig Bauaktivitäten bis 2026. Das trübt die Stimmungslage gerade für die heimischen innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), aber auch für die größeren Marktteilnehmer mit Blick auf den deutschen Markt. Da trösten die proportional deutlich steigenden Bauaktivitäten ab 2026 wenig, zumal der Internationalisierung der heimischen KMU häufig die nationalen Wertschöpfungsvorgaben anderer Zielmärkte im Weg stehen. Der Onshore-Wind-Ausbau sowie das Repowering sind nach wie vor besonders durch langfristige Genehmigungsverfahren belastet. Die EEG-Novelle noch kurz vor Jahresende hat die Situation nicht verbessert. Den Importanteil für Wind- und Wasserstofferzeugung und damit auch die Anzahl der hier beheimateten Arbeitsplätze bestimmen unsere politischen Vertreter heute. Mittel- und langfristig haben wir trotzdem gute Gründe optimistisch zu sein.

Auf hoher See soll mehr Windenergie gewonnen werden. Das Ziel für das Jahr 2030 wurde im Bundestag von 15 auf 20 Gigawatt angehoben, bis 2040 sollen es sogar 40 Gigawatt werden. Reicht das? Nach einer langen Phase der Unsicherheit ist es wichtig, dass wir langfristige Ausbauziele haben. Die Umsetzung von Bauaktivitäten vor 2026 ist aber deutlich relevanter. Es muss darum gehen, Potenziale zu realisieren, und weniger um politische „Deckel-Setzung“. Die zu starke regulatorische Gängelung der Industrieentwicklung hat bereits einschneidende Folgen gehabt, die sich in Bremerhaven besonders schmerzlich bemerkbar gemacht haben. Es muss heute darum gehen, Zukunftsindustriezweige wie die Windindustrie zu unterstützen und nicht zu begrenzen. Die damit verbundene Wertschöpfung und das Arbeitsplatzpotenzial werden nach der Corona-Krise dringend benötigt. Die tatsächlichen Bauaktivitäten bis 2030 an Land und auf See gilt es heute zu fördern. Es gibt Möglichkeiten, schnell und effizient Projekte umzusetzen, zum Beispiel an nicht ausgelasteten Netzverbindungen oder über vorentwickelte Flächen. In Nord- und Ostsee beträgt das Ausbau-Potenzial ungefähr 57 GW, wenn wir das Küstenmeer außer Acht lassen.

Sie hätten sich gewünscht, dass gleichzeitig die Weichen für „grünen“ Wasserstoff aus Windstrom gestellt worden wären. Wieso? „Grüner“ Wasserstoff erzeugt aus Windenergie ist ein sehr wichtiger Teil der Energiewende. Nur mit Wasserstoff aus erneuerbaren Energien können wir langfristig klimaneutral wirtschaften. Energieintensive Industrien wie die Chemie-, Stahl- oder Zementindustrie sind auf „grünen“ Wasserstoff angewiesen, wenn sie klimaneutral produzieren wollen. Auch in den Bereichen Verkehr und Wärme wird „grüner“ Wasserstoff benötigt. Besonders Norddeutschland hat eine gute Ausgangslage für die Kombination von Wind und „grünen“ Wasserstoff. Doch der regulatorische Rahmen macht den Einsatz derzeit noch zu teuer und damit unwirtschaftlich. Deshalb gilt es, gesetzlichen Grundlagen anzupassen. Der Aufbau eines eigenen Erzeugungsmarktes sollte Importüberlegungen vorangestellt werden. Die Windkraft auf See liefert eine sehr stabile Energieausbeute und eignet sich daher besonders gut für die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff, aber auch die Windenergie an Land kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Innovative Wind-Wasserstoff-Projekte sollten vermehrt und besonders bei KMU-Beteiligung gefördert werden. Wir haben in diesem Jahr die Förderung von „grünen“ Wasserstoff in unsere Satzung übernommen, weil sich bereits einige innovative WAB-Unternehmen auf den Weg gemacht haben, einen Erzeugungsmarkt für „grünen“ Wasserstoff zu ermöglichen. Die WAB bringt sich aktiv in die Umsetzung der Norddeutschen Wasserstoffstrategie ein.

Die Firma Tennet hat ja gerade den Probebetrieb für das „grüne“ Stromkabel NordLink gestartet. Es dient dazu, Strom aus deutschen Windparks nach Norwegen zu bringen, wo er in den Wasserkraftwerken gespeichert und bei Bedarf zurück geliefert wird. Brauchen wir mehr solcher Kabel? Ja, diese Verbindungen über Ländergrenzen sind wichtig. Wir setzen uns dafür ein, dass wir das Potenzial der Nord- und Ostsee im Einklang mit anderen Nutzungsinteressen ausschöpfen, aber darüber hinaus werden wir langfristig in Europa ein Energiesystem benötigen, das untereinander stark vernetzt ist. Es gibt aber auch in Norddeutschland attraktive dezentrale Speicher-Optionen, die es einzusetzen gilt.

Siemens Gamesa will in Cuxhaven sein Werk erweitern. Könnte sich auch in Bremerhaven wieder etwas entwickeln? Wir wissen, wie stark Bremerhaven in den vergangenen Jahren gelitten hat und wie viele Hoffnungen hier im Hinblick auf die Wertschöpfung durch Windenergie politisch enttäuscht wurden. Ich bin trotzdem zuversichtlich auch für Bremerhaven. In Deutschland wurden in den vergangenen zehn Jahren erst 7,7 Gigawatt Offshore-Windkraft installiert. Viele von den Windkraftanlagen, die heute auf Nord- und Ostsee Strom produzieren, wurden in Bremerhaven gebaut. Die Nordseeküste beheimatet eine Vielzahl innovativer und kompetenter KMU und sehr qualifizierte Ingenieure, die essenziell für die weitere Umsetzung der Energiewende sind. Einige namhafte Institute haben sich im Norden angesiedelt, um diese Entwicklung zu unterstützen. Wir planen für die Windkraft auf See noch mehr als das Fünffache in den nächsten 20 Jahren allein in Deutschland und bisher nur für die Stromproduktion. Andere Märkte in Europa (aktuell sind etwa 300 GW bis 2050 geplant) und darüber hinaus wollen noch stärker wachsen. Hinzu kommt die Kombination von Wind und Wasserstoff. Dafür haben wir einiges an Know-how bei unseren Mitgliedsunternehmen. Dazu gehören auch die Unternehmen aus der maritimen Industrie, aus der Logistik sowie in der Hafenwirtschaft, die wichtige Kompetenzen mitbringen. Ein weiterer Punkt: In Nord- und Ostsee und an Land müssen früher oder später Hunderte Anlagen wieder zurückgebaut werden. Hier sehen wir Chancen für das Recycling, die Bremerhaven nutzen kann. Service und Wartung wird ein wichtiges Standbein bleiben.

Das Thema Offshore-Terminal Bremerhaven (OTB) ist ja noch nicht vom Tisch. Braucht die Windindustrie denn überhaupt noch einen Terminal in der Seestadt? Die Frage ist vielmehr: Braucht die Seestadt kein weiteres Schwerlast-Terminal? Für die Ansiedlung von Siemens Gamesa kommt der OTB erkennbar zu spät, aber wir stehen erst am Anfang des Ausbaus der Windkraft auf See, und das Thema Rückbau der Offshore-Windparks sollten wir bereits heute auf der Agenda haben. Aus unserer Sicht ist der OTB weiterhin ein wichtiges Projekt, da jede Möglichkeit, mit schweren Lasten umzugehen, ein Wettbewerbsvorteil für einen Hafenstandort bedeutet. Auch für Bremerhaven sollte es darum gehen, Potenziale zu nutzen. Ich wünsche mir für 2021 eine optimale Ausnutzung des Potenzials der Seestadt, um ihre Stärken vollumfänglich für den Energiewende-Standort-Wettbewerb einsetzen zu können.

Christoph Bohn

stellv. Redaktionsleiter SONNTAGSjOURNAL

Christoph Bohn (Jahrgang 1968) ist in Bremerhaven geboren und im Cuxland aufgewachsen. Er hat in Bremen Wirtschaftswissenschaft und Politik studiert und ist Diplom-Ökonom. Nachdem er zweieinhalb Jahre als Controller beim Hanstadt Bremischen Hafenamt gearbeitet und nebenbei schon frei als  Journalist für die NORDSEE-ZEITUNG gearbeitet hatte, entschloss er sich zu einem Volontariat (1998-2000). Danach fing er als Redakteur beim SONNTAGSjOURNAL an (Schwerpunkte: Wirtschaft und Landkreis Cuxhaven).

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